INTERVIEW
mit einem beteiligten Künstler (2017)
Interview aufgenommen 2017 in Berlin-Wedding
Seit einigen Jahren sind in Berlin immer mehr politische Wandsprüche zu sehen, die an an zentralen Stellen der Stadt gemalt sind. Steht dahinter eine Gruppe? Und was ist die Motivation dafür?
Wir sind ein loser Zusammenschluss von Leuten, die zusammen malen. Es gibt keinen Gruppennamen, aber wir benutzen ein Symbol, den Anker. Der Anker dient als Wiederekennungsmerkmal, damit von Aussen klar ist, dass die einzelnen politischen Sprüche zusammengehören. Das Projekt ist immer offen für andere, die dazukommen. Es ist sogar darauf angelegt, dass es verbreitet und vervielfältigt wird und andere inspiriert.
Die Leute, die sich an solchen Spruchgraffiti-Aktionen beteiligen, kommen aus verschiedenen politischen und gestalterischen Ecken. Viele von ihnen arbeiten schon über Jahre hinweg in politischen Initiativen. Sie fühlen sich aber genauso mit der Graffiti-Szene verbunden, dh. sie vervielfältigen ihren Writer-Namen oder den ihrer Crew an Wänden. Das war nicht immer miteinander verbunden, eher parallel zum eigenen politischen Aktivismus. Beides steht aber nicht in Konkurrenz zueinander, wir finden beides fresh und malen genauso gerne ohne konkrete politische Botschaft. Bei uns entwickelte sich allerdings immer mehr das Bedürfnis, auch Botschaften in unsere Graffiti reinzubringen. Wir sind sicherlich beeinflusst von politischer Kunst, aber lassen uns nicht im Medium einschränken. Wir feiern die vielen unterschiedlichen gestalterischen Ausdrucksmitteln auf der Strasse und finden es immer schwieriger, dem einen Namen oder ein Label aufzudrücken. Sprühschablonen mögen wir genauso gern wie bunte Schriftzüge auf Zügen, Tags mit Feuerlöschern oder performative Aktionskunst. Wir haben uns in letzter Zeit darauf konzentriert, politische Sprüche an belebten öffentlichen Plätzen an gut einsehbaren Stellen wie Hausdächern, Brandwänden und Fassaden zu malen.
Die Motivation liegt auf unterschiedlichen Ebenen. Einerseits feiern wir es, sich mit Botschaften den öffentlichen Raum zurückzunehmen, Platz für sich zu ergattern. Wenn Menschen anfangen sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen, mit anderen darüber reden. Auch wenn es meist sehr einfache Sprüche mit klaren politischen Aussagen, sind wir immer wieder erstaunt über die Reaktionen, die darauf folgen. Oft kommen zunächst Fragen nach dem Technischen, wie sie da aufs Dach hochgekommen sind, über den Zugang zum Gebäude, ob etwa eine Tür zum Dach offen stand oder ein Gerüst am Haus war, ob es Agenturen waren, die es im Auftrag hingemalt haben. Wir stellen immer wieder in Gesprächen fest, dass die Wandsprüche den Alltag der Passanten, auch sogar von bereits politischen aktiven Leuten durchbricht, allein dadurch dass es eine illegale Malerei ist. Eine Beanspruchung von einem Ort, der erstmal nicht dafür vorgesehen ist, dass er bemalt wird. Dann schwingt natürlich eine Aura der Waghalsigkeit mit, dass sich jemand über eine Dachkante gelehnt und mit Teleskopstange und Farbrolle kopfüber ans Werk gemacht hat. Diese Technik sollte eigentlich schon länger bekannt sein, in Berlin z.B. von Graffiti-Crews wie die SW (Skywalkers)-Crew oder 1UP. Andere schütten flüssige Farbe von Dachkanten, um ganze Häuserwände in kürzester Zeit umzugestalten, wie u.a. an zahlreichen gegossenen Regenbogen-Bildern zu sehen ist. Wir wollen diese Mittel für politische Themen einsetzen, uns große Flächen für längere Sprüche nehmen.
Die Schwierigkeit bei politischen Botschaften ist immer, ein komplexes Thema mit wenigen Buchstaben auf den Punkt zu bringen, auf eine Wand zu quetschen, die verhältnismässig dann doch nicht so gross ist. Wenn wir vom Graffiti gewohnt sind, maximal 5 bis 6 Buchstaben in den verschiedensten stilistischen Facetten an die Wand zu bringen, geht es bei den Sprüchen darum, manchmal 16 oder 32 Buchstaben zu schreiben. Es soll möglichst für alle lesbar sein, die daran vorbeilaufen, unabhängig von sozialer Schicht und Milieu etc. Und trotzdem soll es der Komplexität und unserem politischen Anspruch gerecht werden. Ich glaube, dass das erst durch die Gesamtheit der unterschiedlichen Botschaften funktioniert, die wir z.B. in letzter Zeit an Orten rund um den Berliner Bezirk Wedding hinterlassen haben. Wir wollen eine Art Freiluftgalerie entstehen lassen, die die Vielfalt der politischen Auseinandersetzungen zeigt, die selbst in einem eingegrenzten Gebiet wie einem Kiez in Berlin stattfinden. Schön, wenn wir Leute, die daran vorbeilaufen, wenigstens für eine Sekunde dazu zu bringen anzuhalten und sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.
Wie entsteht die Auswahl der Themen für die Wandsprüche?
Zum einen wollen wir auf die verschiedenen Kämpfe aufmerksam machen, Verbindungen zwischen den politischen Initiativen herstellen und nicht nur Jugendlichen, die Lust auf gestalterische Aktionen haben, einen Anstoss geben den öffentlichen Raum mitzugestalten und malen zu gehen. Wir promoten auch politische Gruppen, wie z.B. „Hände weg vom Wedding“, die sich in ihrem Kiez gegen steigende Mieten, Verdrängung, soziale Ausgrenzung, Rassismus und für ein solidarisches Zusammenleben einsetzen. Teil der Arbeit ist es, dass wir uns in den Initiativen engagieren, aber es ist allein zeitlich schwer alles gleichzeitig zu machen. Durch Graffiti können wir an verschiedenen Fronten gleichzeitig unterwegs sein und uns über politische Grabenkämpfe hinwegsetzen, die es in der Linken leider immer wieder gibt. Einen Zusammenhalt herzustellen ist uns wichtig, nicht nur im eigenen Kiez. Deswegen haben wir in letzter Zeit viel im Wedding zu tun gehabt und wenn die uns dort wichtigen Stellen alle gemalt sind, nehmen wir uns die nächsten Bezirke vor.
Wir fühlen uns mit den sozialen Bewegungen und den Kiez-Initiativen verbunden. Unterstützung kriegen wir hier auch aus selbstverwalteten Hausprojekten, aber auch Gruppen, die in andere Länder fahren, um sich dort mit politischen Gruppen und Arbeitskämpfen solidarisieren und dort Wandbilder malen. Ein Thema, das uns ebenfalls sehr am Herzen liegt. Themen die wir bisher dargestellt haben sind u.a. der Kampf gegen steigende Mieten, gegen Aufwertung und Verdrängung in den Kiezen. Was gerade hier ein grosses Problem ist: der Zwang zur Arbeit, das Leben am Existenzminimum, die Sanktionen durch das Jobcenter, wenn man unsinnige Jobs ablehnt…
Uns ist wichtig die Verknüpfungen zwischen diesen Themen zu zeigen. Dass es nicht nur sinnvoll ist, sein eigenes Süppchen zu kochen, z.B. Stadtpolitik zu machen. Sondern auch mit Menschen zusammenzuarbeiten, die durch Jobcenter-Schikane abgehängt sind, die sozialen Rückhalt brauchen oder die keinen sicheren Aufenthaltsstatus haben. Auch Leute aus anderen Ländern einzuladen, die genauso politische Kämpfe führen, sei es Gewerkschaftler:innen oder auch Künstler:innen, die gegen die Verhältnisse in ihren Ländern angehen. Wir wollen alle diese Menschen und Initiativen zusammenbringen und tatsächlich passiert das direkt und indirekt über diese Bilder und dem Lifestyle, der darüber transportiert wird. Das Drumherum um die eigentlichen Mal-Aktionen sind mindestens so wichtig wie die Bilder selbst. Man lernt sich kennen, lernt wieder andere politisch aktive Künstler*innen kennen, tauscht sich über Gemeinsamkeiten und Unterschiede aus, baut Netzwerke auf…
Uns geht es nicht um den einzelnen Spruch, sondern um die Gesamtheit der Aussagen. Wir wollen die verschiedenen politischen Kämpfe und die Lebenssituationen einzelner Menschen zusammendenken und eine breitere Bewegung daraus machen, die gesellschaftlich etwas reissen kann.
Wie sind die Reaktionen auf die Sprüche?
Bis jetzt wurde nur ein Wandspruch übermalt, das „Aufstehen gegen Rassismus“ am U-Bahnhof Pankstraße. Vielleicht hat es dem Hausbesitzer nicht gepasst. Danach haben wir ein neues Bild an der selben Stelle gemalt. Die Meisten Reaktionen gab es auf „Migration is not a crime“. Eine offizielle Bezirks-Initiative hat Fotos von Orten, die typisch für den Bezirk Wedding sind, auf grossen Werbetafeln aufgestellt und Postkarten davon gedruckt. Eins der Bilder war der abfotografierte Slogan. Natürlich ist es ein Spruch der auch für Toleranz und bürgerliche Vielfalt einsteht, was eigentlich Mainstream-Themen sind, die ständig rauf und runter gepredigt werden. Aber trotzdem hat hier eine öffentliche Einrichtung, die sich im Rahmen der Gesetze bewegen sollte, eine klar illegale Malaktion reproduziert. Das transportiert für mich zumindest eine Sympathie dafür, dass soziales Engagement sich auch ausserhalb des gesetzlichen Rahmens bewegen und manchmal über die Stränge schlagen muss, um auf bestimmte Missstände aufmerksam zu machen. Dass man sich etwas trauen und Dinge ausserhalb des sonst Denkbaren machen muss. Wir wollen nicht nur Menschen erreichen, die beispielsweise nur zu einer linken Subkultur gehören und oft in ihrem eigenen Milieu versacken und nicht schaffen mit anderen zu sprechen. Wir wollen Menschen, die z.B. im Arbeitsamt sitzen und sich mit alltäglichen Fragen ärgern oder Leute, die in der öffentlichen Verwaltung arbeiten, Gemeinsamkeiten zeigen und dazu anstiften, mal etwas zu machen, wo auch Adrenalin versprüht wird.
Viele der Aktionen wurden von Unterstützer*innen dokumentiert und wir versuchen im Moment, das Foto- und Video-Material so zusammenzubringen, dass wir um die Bilder herum eine politische Geschichte erzählen. Vor einer Mal-Aktion diskutieren wir nicht nur über das konkrete Bild, sondern auch wie sich unsere Botschaft über soziale Medien etc. möglichst weit verbreiten lässt, damit die Verbreitung über den eigenen Kiez hinausgeht. Oft entdecken wir Fotos der Wandsprüche auf Plattformen wie Instagram oder auf Webseiten politischer Initiativen, weswegen wir manchmal gezielt Bilder für aktuelle Kampagnen wie „Zwangsräumungen verhindern“ malen. Ohne sie vorher zu fragen, aber mit dem Ziel, dass sie es später als Fotomaterial für Plakate für Demonstrationen oder sogar ihre Selbstdarstellung im Internet nutzen können. „Aufstehen gegen Rassismus“ ist beispielsweise eine Kampagne von Gruppen, die versuchen Alltagsrassismus und dem Aufstieg der Neuen Rechten wie der AfD etwas entgegenzusetzen. Dadurch, dass Fotos unserer Wandbilder in deren Netzwerken oft öffentlich geteilt wurden, merken wir, dass die Idee einer indirekten Zusammenarbeit aus der Ferne aufgeht. Auch wenn wir es kritisch sehen, dass vor allem leicht konsumierbare Bilder oft mehr Aufmerksamkeit bekommen als beispielsweise längere inhaltliche Texte. Aber wir spielen mit dieser Aufmerksamkeit, die unsere Aktionen wahrscheinlich auch dadurch bekommen, dass sie nicht gesetzeskonform sind. Wir liefern mit unseren ästhetischen Mitteln eine plakativ heruntergebrochene, verkürzte Message, um letztendlich die Inhalte von Initiativen bekannt zu machen, die sie sich tagtäglich mit viel Herzblut dafür engagieren wirklich soziale Veränderungen herbeizuführen.
Steht das illegale Arbeiten nicht im Widerspruch dazu, mit anderen Menschen offen in Kontakt zu treten?
Klar verbietet uns die Kriminalisierung von Graffiti offen aufzutreten und direkt ansprechbar zu sein. Aber es ist schon möglich, z.B. auf Websites und Sozialen Medien die Diskussionen innerhalb von Initiativen und auch die Reaktionen auf die Wandbilder mitzuverfolgen. Meistens gibt es dort die Möglichkeit Kommentare zu hinterlassen. Oder aber, was natürlich viel besser ist, ist selber Wandbilder zu malen. Es ist technisch nicht wirklich schwer und mit ein bisschen Übung geht alles! Es braucht nicht so viel um aus dem Rahmen zu tanzen und z.B. die Wände bunt zu machen, mit visuellen Mitteln Geschichten an allen erdenklichen Straßenecken zu erzählen.
Wie denkt ihr darüber, dass rechte Gruppen Graffiti und Wandmalerei als Medium nutzen?
Rechte Gruppierungen sind schon historisch dazu verfallen sich aus verschiedenen anderen Denkströmungen und Ideologien ihre eigene Zusammenklauen. Die Neuen Rechten versuchen sich mit „hippen“ Aktionsformen, die sie den linken Bewegungen abgekupfert haben, öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Das muss man demaskieren – als billige Strategie, den alten menschenfeindlichen Weltbildern der Nazis ein modernes Gesicht zu verpassen. Das künstlerische Potential von Leuten, die für Menschlichkeit, Solidarität, soziale Kooperation, Vielfalt etc. einstehen, sollte kreativ in Sachen Kreativität den rechten Idioten immer voraus sein. Von daher sollten wir uns als Künstlerinnen und Gestalterinnen deutlich von denen abgrenzen und selbst immer neue Bildsprachen und Aktionsformen entwickeln.
Was inspiriert euch?
Beeinflusst sind wir von eigentlich allem, was uns auf der Strasse begegnet. Aber auch von Aktionskunst, die ins politische Geschehen eingreift, wie es z.B. das Peng-Kollektiv macht. In Bezug auf Graffiti ist neben der Berliner CBS-Crew, die immer wieder auch große illustrative Statements wie Fäuste und überdimensionale Mittelfinger an Häusern hinterlassen hat, auch die bekannten Schablonenkünstler wie Blek le Rat oder Banksy. Die Fassaden der besetzten Häuser der 1970er und 1980er Jahre haben uns bestimmt geprägt, auch wenn ich persönlichen keinen direkten Bezug dazu habe. Aus dem Ausland sind es die Pixadores aus Brasilien, die großflächig und massiv den öffentlichen Raum mit ihren Zeichen in Beschlag nehmen. Und hier aktuell natürlich die überfreshen Abseilkünstler von den Berlin Kidz, die immer wieder neben ihren Buchstaben Botschaften zu zivilem Ungehorsam, zu Adrenalin, gegen Knäste und Bullen auf simple, aber ehrliche und sehr nahbare Art und Weise hinterlassen.
Warum sind viele der Wandsprüche im Berliner Bezirk Wedding zu sehen?
Der Wedding ist der Kiez, wo wir unsere Freizeit verbringen, uns politisch betätigen, mit Leuten aus aller Welt in Kontakt kommen. Er ist von der Sozial-Struktur sehr gemischt. Hier ist zumindest theoretisch am ehesten die Situation gegeben, dass all die Menschen aus unterschiedlichen Milieus zusammenkommen, um gemeinsam etwas zu bewegen und für ein besseres Leben einzutreten. Auch wenn es kleine Dinge sind, wie z.B. lokale Mieten-Proteste. Natürlich gibt es zusätzlich noch den Ruf des Weddings als Roter Wedding, dem ehemaligen Arbeiterbezirk, der in den 1920er Jahren sehr kommunistisch geprägt war und wo auch sehr aktiv gegen die damaligen Nazis gekämpft wurde. Aber in erster Linie ist er unser Kiez, den wir mitgestalten.
Gibt es Wünsche oder Ziele, auf die ihr hinarbeiten wollt?
Wir finden es wichtig, dass Initiativen mit ganz unterschiedlichen Anliegen und Themen sich gegenseitig den Rücken stärken, wenn z.B. eine Räumung einer Wohnung droht, wenn jemand von einer Abschiebung bedroht ist… Dass an solchen Punkten an einem gemeinsamen Strang gezogen wird und eine gemeinsame Agenda entwickelt wird, auch wenn die einzelnen innerhalb der Linken eine ganz unterschiedliche ideologische Ausrichtung haben. Auch in Zukunft wollen wir in allen Richtungen offen sein, die Message ist das Ziel, Power to the People und get organized!