„Männer LOL“ – Die Politisch Motivierten Schlampen (PMS) und ihre Freund*innen machen als explizit feministische Graffiti-Gang seit 2019 mit viel Humor und Selbstironie die Straßen unsicher.
INTERVIEW
PMS Ultras (2023)
Schriftliches Interview mit den PMS Ultras
zuerst veröffentlicht in Die Rote Hilfe 03/2023.
PMS – Politisch motivierte Schlampen – lässt sich auf einigen Wänden Berlins und wahrscheinlich auch anderswo lesen. Könnt ihr euch kurz vorstellen und beschreiben, was ihr als Crew für Graffiti malt?
Wir sind eine Graffiti-Crew, based in mehreren doitschen Großstädten. Wir malen verschiedenste Sachen, je nachdem, worauf wir so Lust haben und wie sich der Zugang für uns gestaltet. Am meisten ganz klassisch unseren Namen auf Hauswänden oder auch mal auf rollendem Untergrund. Meistens mit Dose, mal mit Stift, ab und zu mit der Rolle oder Feuerlöscher. Alles, was Graffiti so an Disziplinen bereithält, haben wir mal ausprobiert oder noch auf unserer Agenda (außer Trainsurfen, das ist uns irgendwie zu doll, weil lebensgefährlich). Meistens ziemlich chaotisch, aber mit Leidenschaft. Wir nehmen uns alle nicht allzu ernst und haben einfach Spaß an der Sache.
Eure veröffentlichten Bilder zeigen einen Mix aus politischen Sprüchen an Wänden einerseits und eurem Crewnamen andererseits. Sitzt ihr zwischen zwei Stühlen oder seid ihr sowohl in der Linken als auch in der Graffiti- Szene zuhause?
Wir sind in erster Linie ne Graffiti-Crew. Aber weil wir alle FLINTA* sind und uns außerhalb von dem ganzen Graffiti Ding auch in politischen Sphären bewegen, kommt unsere politische Haltung in unserem Graffiti öfter mal zum Ausdruck. Wir sind also in beiden Szenen zu Hause. Aber auch ohne explizite politische Messages ist Graffiti für uns politisch. Unfug zu treiben stellt das System, also zum Beispiel die Eigentumsverhältnisse, auf die verschiedenste Weise in Frage und schafft Sichtbarkeit auf der Straße.
Euer Fokus auf Macker, eure T-Shirts mit der Aufschrift „Girls are Graffiti Writers“: Hat der hohe Männeranteil in der Graffitiszene problematische Auswirkungen, die ihr damit thematisiert? Oder geht es um die patriarchalen Verhältnisse als Ganzes?
Für uns geht das beides miteinander einher. Die patriarchalen Verhältnisse setzen sich in Subkulturen fort, egal ob in der linken Szene, im Fußball, im Hip Hop, im Hardcore-Punk oder wo auch immer. Natürlich hat der hohe cis-Männeranteil in der Graffiti-Szene problematische Auswirkungen für uns. Dabei geht es um Sexismus, (sexualisierte) Gewalt und vieles mehr. Das sind die gleichen Themen, an denen wir uns auch innerhalb der linken Szene mühsam abarbeiten. Nur, dass im Graffiti noch mehr Macker, Machos und auch Faschos unterwegs sind, die nicht einmal nach außen hin für sich beanspruchen reflektiert zu sein. Es geht halt nicht nur um einen zahlenmäßig hohen Männeranteil, sondern um patriachal und mackerig geprägte Szenestrukturen. Unser Fokus im Hinblick darauf, welchen Aspekt des Patriarchats wir mit unserem Graffiti kritisieren wollen, entsteht am ehesten durch unsere eigene Betroffenheit und aktuelle politische Ereignisse. Mal haben wir einen Hals auf Männer in der Graffiti-Szene, die Sticker mit dem Slogan „Girls Love Graffiti Writers“ veröffentlichen, worauf wir mit dem T-Shirtaufdruck „Girls Are Graffiti Writers“ geantwortet haben. Und ein anderes Mal richtet sich unsere Kritik gegen alle möglichen Macker-Typen, Bullen oder den patriarchalen Kapitalismus als solchen.
Auf eurem Social Media Kanal ruft ihr zu Solidarität mit Lina auf und ladet zum Antirepressionscafe ein – welche Rolle spielt die Auseinandersetzung mit Repression für euch?
Die Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt gehört im Graffiti genauso dazu, wie in der linken Szene auch. Der Unterschied liegt für uns vor allem darin, dass die linke Szene im Umgang mit Repressionen wesentlich besser aufgestellt ist. Es gibt hier unzählige öffentliche Anlaufstellen, Infomaterialien, Workshops und Organisationen, wie zum Beispiel die Rote Hilfe. Im Graffiti ist das anders, hier gibts keine Info-Broschüren darüber, wie du dich beim Sprühen am besten gegen Repressionen wappnest, zum Beispiel dass du keine Fingerabdrücke auf den Dosen hinterlassen, bei Aktionen keine Handys mitnehmen und Wechselklamotten dabei haben solltest. Außerdem gibt’s im Graffiti viel öfter eine Einzelkämpferinnen-Mentalität und nicht so sehr ein kollektives Bewusstsein dafür, wie mit Repressionen umgegangen werden soll. Es gibt zwar auch viele Crews im Graffiti, die unseren Erfahrungen nach aber eher den Zweck haben, gemeinsam mehr Sichtbarkeit bzw. Fame zu erlangen, füreinander zu checken und größere Aktionen reißen zu können. Aus unserem politischen Bewusstsein heraus ist die Crew für uns aber vor allem ein Ort der Solidarität. Keiner von uns bleibt auf Repressionskosten sitzen und wir sind füreinander da, wenn einer von uns scheiß Erfahrungen macht, zum Beispiel mit den Bullen oder auch mit ätzenden Graffiti-Mackern. Gleichzeitig wissen wir um unsere Reichweite auf Social-Media und wollen dieses Verständnis von Graffiti als politisches Feld und unser Wissen darüber teilen. Denn vor allem für FLINTA ist der Zugang zum Wissen der Szene schwierig. Deshalb wollen wir durch unsere Präsenz im Netz vor allem FLINTA* dazu ermutigen, selbst Banden zu bilden und sich gemeinsam zu empowern.
Viele eurer Graffiti sind ja bewusste Provokationen – wie stark ist der Gegenwind der Szene gegen feministische Wandsprüche?
Das mit dem Gegenwind in der Szene hat sich mit der Zeit verändert. Anfangs haben wir noch regelmäßig Beleidigungen oder dumme Sprüche von Mackern auf Social Media bekommen. Inzwischen kommt das seltener vor, vielleicht weil wir in der Szene inzwischen mehr angekommen sind. Und im Real Life haben wir das Glück, dass wir in unserer linken Wohlfühl-Bubble meistens ziemlich viel Support für unsere Sachen bekommen. Den Gegenwind beziehungsweise die misogyne Seite der Szene bekommen wir manchmal zu fühlen, wenn Bilder von uns mit Pimmel-Sprüchen gecrosst werden und am meisten dann, wenn wir an legalen Wänden unterwegs sind und als FLINTA* zu erkennen sind. Allein die Anwesenheit von FLINTA* im Graffiti reicht für einige Männer schon aus, um zu pöbeln oder gewalttätig zu werden. Die Anonymität im Graffiti hat also auch ihre guten Seiten. Aber als FLINTA*S sichtbar zu werden hat wiederum viel Empowerment-Potenzial.
Möchtet ihr noch allen, die ähnliche Aktionen vorhaben, etwas mit auf dem Weg geben? Zum Beispiel, welche Gedanken man sich machen sollte, wenn man vor hat, mit Farbe politische Botschaften in der Stadt zu verbreiten?
Als allererstes: bildet Banden. Geht zusammen raus, habt Spaß und seid füreinander da. Außerdem mach dir Gedanken um die Abläufe von Aktionen und bereite dich vor. Das bedeutet konkret: Sieh dir den Ort, an dem du sprühen willst, tagsüber einmal an und überlege dir Fluchtwege sowie einen Treffpunkt. Räum deine Wohnung auf, lass‘ keine Sketches oder Zeug, das dich bei einer Hausdurchsuchung belasten könnte, bei dir zu Hause rumliegen. Verschlüssele deine Daten. Wenn‘s geht, nimm kein Handy mit zur Aktion. Überleg dir gut, was für Fotos du über welche Messenger verschickst – Staat wird immer mehr versuchen, Zugriff auf unseren digitalen Privatbereich zu bekommen. Und aufpassen bei Actionbildern auf Social Media – Gesichter, Tattoos und etc. am besten immer unkenntlich machen. Bevor du losgehst, putze deine Dosen und den Karton, sodass keine Fingerabdrücke darauf bleiben. Benutze eine leere Tasche für die Dosen und Equipment, die du im Zweifelsfalls schnell loswerden kannst (manchmal macht es Sinn, die Tasche nach der Aktion erstmal irgendwo zu verstecken und sie am nächsten Tag abzuholen, falls du auf dem Heimweg aufgegriffen wirst). Trage keine Stifte oder Caps bei dir, das kommt alles in die Tasche. Zieh dir eine extra-Jacke über, die du schnell wegwerfen kannst, damit deine Kleidung keine Farbflecken bekommt. Wenn du erwischt werden solltest: hab‘ deinen Ausweis dabei und mache keine Aussage bei den Bullen, auch keinen smalltalk. Und wenn die Post von den Bullen kommt: erstmal ab zur Roten Hilfe. Und zuletzt vielleicht noch: hab bitte ein Auge darauf, nichts unbedacht zu übermalen oder irgendwo reinzumalen. Wir finden es schade, wenn in unsere Bilder, die manchmal auch keine explizite politische Message haben, einfach reingemalt wird. Andersrum sollte auch beim Sprühen von klassischen Pieces mehr drauf geachtet werden, keine politischen Sachen zu übermalen. Es gibt genug leere Wände in der Stadt und wir sollten uns den Platz nicht gegenseitig streitig machen. Auch ohne explizite Messages ist Graffiti politisch und politische Statements an Hauswänden sind ein Teil der Graffiti- Kultur.