Pappsatt, Czentrifuga, Mensch Meier und Maos Rache (Berlin und Nürnberg) zu Besuch bei befreundeten Kunst-Kollektiven in Liverpool.
Festival vom 25-31. Juli 2016
Utopische Momente
Kunstkollektive zwischen Ferienkommunismus und Selbstverwirklichung
Von Hartl Konopka
Die Skulptur nimmt langsam Formen an. Ein acht Meter langer aus Abfällen und Kartons gebauter Vogel schleppt sich durch maroden Häuserschluchten aus rotem Backstein. Ein zerfleddertes und bis auf die Knochen abgemagertes Federvieh mit Stytoporkrallen, Plastikfederschmuck, flirrend-glitzernden Westen und langen Flügelstangen: Ein geschundener Liverbird – Fabelwesen und Wappentier von Liverpool und damit Sinnbild für den Zustand der Stadt und ihrer Politik. Der Umzug Richtung dem eine Meile entfernten Pub „The Bulls“ beginnt bei „The Land“, einer temporär genutzten Brachfläche neben der Warehouse-Kommune. „The Land“ dient für drei Tage als Außenspielort des Festivals „Drop The Dumbulls“ und ist schon von weitem als künstlerisch gestalteter Ort erkennbar. Das riesige Plakat, das eigentlich den Film „Suicide Squad“ bewerben soll, macht Reklame für „Decide To Squat“ – „Auf zu Besetzungen“. Der Zug ist nicht angemeldet, wir benutzen einfach die linke (also die richtige) Seite einer Ausfallstraße. Die aufgehaltenen Autofahrer_innen sind auffallend gelassen bis wohlwollend. Die Polizei erscheint nicht, obwohl sich unser Vogel über eine Stunde hinschleppt, begleitet von Rufen wie „Whose the bird? Ours the bird!“ und „Whose the houses? Ours the houses!“.
Liverpool, gelegen am River Mersey an der Westküste Englands, war bis in die 1970er eine reiche Industrie- und Handelsstadt mit großem Hafen und riesigen Docks für den Schiffbau. Seit den 80ern aber, mit dem Niedergang der britischen Industrie und der systematischen Zerschlagung aller kommunalen und sozialstaatlichen Errungenschaften durch die Thatcher-Regierung, gehört sie zu den zehn ärmsten Städten Großbritanniens. Die damals angeblich von Trotzkist_innen dominierte Stadtregierung war kurzerhand abgesetzt worden, nachdem sie sich geweigert hatte, die Direktiven aus London umzusetzen. Heute ist der erbärmliche Zustand überall sichtbar: Leerstehnde Häuser, Läden und Fabriken, ganze Innenstadtbezirke sind einzige Brachen. Die Gegend im nördlichen Teil der ehemailgen Docks ist besonders trostlos. Riesige ehemalige Lagerhäuser verfallen, niemand wohnt dort oder ist unterwegs, außer mit dem Auto auf den Ausfallstraßen. Angeblich „eine der politisch linkesten Städte des Königreichs“ (Christian Zaschke, „Mit links“, SZ vom 29.09.16) hat das Gebiet aufgegeben und setzt alles daran, Investoren zu finden, die etwas Profitträchiges daraus machen. Genau dort ist eine Oase der Gegenkultur entstanden: „Drop the Dumbulls“. Das kleine Kunst- und Veranstaltungskollektiv hat Anfang August dieses Jahres andere Kollektive eingeladen, ihr jährliches Festival zu einer Demonstration gegen die Stadtpolitik zu nutzen.
Neben Künstler_innen aus Großbritannien sind aus Berlin die Kollektive Czentrifuga, pappsatt und die Mensch Meier angereist, aus Nürnberg unsere Performance- und DJ-Truppe Maos Rache. Die meisten sind schon eine Woche vorher gekommen und im Warehouse eingezogen, einem ehemaligen Speicher mit mehreren Stockwerken, der damit zum temporären Wohn- und Arbeitsplatz für etwa 40 Leute wird. Sonst wohnt dort eine Kommune mit 16 Personen, die lose verbandelt war mit den Macher_innen von Drop The Dumbulls, und die sich spontan zur aktiven Unterstützung des Festivals entschlossen hat. In dieser Homebase wurden gemeinsam die ganzen Ideen gesponnen und verwirklicht: Von der Gestaltung des „Land“ über Kostüme und Objekte bis zu Performances und Musikkstücken, die dann beim dreitägigen Festival aufgeführt wurden. So wurde „Ferry, Cross the Mersey“, ein Gassenhauer aus dem Liverpool der 1960er, umgedichtet zu „Life learning more every day/Hearts meet in every way/So Ferry, cross the Mersey/Cause The Bull’s the place I love/And here I’ll stay.“
„Drop The Dumbulls“ – im Sinn von „Weg mit dem Ballast“ (Wortspiel aus dumb bells (Hanteln) und The Bull (Name des Pubs)) – hieß dann das Wochenende mit Auftritten von Bands, DJs, Performancegruppen und Poetry Acts. Dazu der schon beschriebene Umzug zwischen den beiden Locations. Die Trennung zwischen Aktiven und Publikum war aufgehoben, nach den Prinzipien des Jekami, Jede_r kann mitmachen. Alle sind in irgendeiner Weise eingebunden, ob in der Organisation, einer Kunstaktion oder einem Auftritt. Es gab viel zu erleben bei diesem Festival, musikalisch – zwischen Free Jazz und Breakcore, Industrial und Rap, bis zu einem Mandolinen Trio – ,künstlerisch, thematisch. Aber das utopische Moment waren nicht das Line-Up oder die großartig gestalteten Räume, sondern der Geist der Kommune. Eine Woche lang zusammen leben, arbeiten, teilen, sich gegenseitig begeistern, zum Abschluss gemeinsam aufführen und feiern – ein temporär erfüllter Traum von einem anderen Leben.
Viele der an Drop The Dumbulls Beteiligten erleben das aber nicht nur zu solchen Anlässen, sondern das ganze Jahr. Wie das Kollektiv Czentrifuga, das sich laut Selbstbescheibung zwischen „Rohkultur und Handgedrucktem“ verortet. Es existiert seit 1999 an verschiedenen Orten in Berlin, zwischenzeitlich war es sogar über die Kunstszene hinaus bekannt durch die „Fleischerei“, einen Laden in Berlin Mitte, in dem Czentrifuga seine Siebdruckwerkstatt betrieb und die gedruckte Kunst verkaufte, bevor sie wegen der hohen Mieten raus mussten. Nach verschiedenen Umzügen haben sie für ein paar Jahre auf dem Gelände des About Blank-Klubs in der Nähe vom Ostkreuz eine Bleibe gefunden. Namen und Konzept erklären sie so: „Eine Spirale in einem Taifun, die sich dreht. Alles wird wie in einen Staubsauger reingezogen, durchgewirbelt und wieder ausgespuckt. Leute einbinden, konnekten und ausspucken. Wir sind selbst inspiriert von Spiral Tribe, einem englischen Soundsystem. Nicht so sehr von der Musik als von der Idee: modern primitive, science fiction, temporary autonomous zone. Die Traveller-Szene in England war eigentlich eine alte Hippie-Geschichte. Aber alle in schwarz und mit Glatze. Techno, rumreisen, Leute zusammenbringen.“ (Interview mit Czentrifuga: www.reclaimyourcity.net)
Czentrifuga sind mit ihrer Siebdruckwerkstatt auch jedes Jahr auf der Fusion, einem riesigen Festival, das auf einem früheren Militärflughafen in Mecklenburg-Vorpommern stattfindet. Eigenbezeichnung: Ferienkommunismus. Nun ist die Vorstellung schon bizarr, dass man für Kommunismus Eintritt zahlen muss und das Gelände auch noch doppelt umzäunt ist. (Alexander Nabert, „Deutschlands größtes Plenum“, Jungle World 26.05.16) Und wer schon einmal da war, weiß, dass viele der 70.000 vor allem mit Techno und Chemodrogen abfeiern will und sich weniger für die dort entstandene Kunst interessiert: Die Installationen, die Gestaltung der Bühnen und anderen Areas, die Musik – zumindest wenn sie nicht den gängigen Erwartungen von Techno, Reggae und leicht verdaubarer Weltmusik entspricht. Doch auch hier gilt dasselbe wie bei Drop The Dumbulls: Alles wird in den Wochen zuvor von verschiedenen Kollektiven aufgebaut und kreiert. Für die Aktiven ist das die Zeit des „Ferienkommunismus“, nicht das viertägige Festival selbst. Dort entstehen die utopischen Momente. Und als Gast spürt man diese Offenheit und Gelassenheit. Die Organisierenden sind entspannt, es gibt keine aggressiven Sicherheitsleute. Dass die ganze Stimmung so friedlich ist, liegt nicht zuletzt an der von den Künstler_innen gestalteten Atmosphäre. Auch die Leute von Drop The Dumbulls aus Liverpool waren die letzten Jahre aktiv beteiligt an der Fusion, ebenso Mensch Meier und Maos Rache. Und pappsatt gestaltet schon seit langem den „Palast“, ein großes Zirkuszelt, das jedes Jahr unter einem anderen Thema steht. (Interview mit pappsatt: ak #574)
Für die vorgenannten Kollektive ist es selbstverständlich, dass sie sich untereinander vernetzen, austauschen und gemeinsam handeln. Hier erlangt der Aufbau von Koalitionen politische Bedeutung. Es geht darum, Räume und Mittel zur Verfügung zu stellen, Güter zu teilen, Ideen auszutauschen und gemeinsame Aktionen durchzuführen. Die daran Beteiligten leben zwischen Selbstausbeutung und Selbstverwirklichung. Ihren Unterhalt können sie nicht von ihren Kunstinterventionen bestreiten, im Gegenteil: Sie opfern Geld, Zeit und Ressourcen. Beat von Czentrifuga: „Wir sind keine Dienstleister, da fühlen wir uns ausgenutzt.“ (Interview mit Czentrifuga: www.reclaimyourcity.net) Der „Gewinn“ liegt in der Realisierung kommunistischer Ideen. Im Gegensatz zur Aufmerksamkeitskunst eines Zentrum für politische Schönheit oder dem Peng Collective steht die Außenwirkung hier nicht im Vordergrund, Utopie wird nicht propagiert, sondern gelebt. Vor allem die Tage in Liverpool haben bei allen Beteiligten bleibende Eindrücke hinterlassen. Michelle, die Initiatorin von Drop The Dumbulls 2016, schrieb mir vor wenigen Tagen: „It was such a crazy brilliant UTOPIC experience! I don’t think it will ever be the same here again. It has completely activated the community! Everyone is much closer and working together more and more!“
Hartl Konopka war als Teil des Maos Rache-Kollektivs in Liverpool und bei der Fusion.